„Der Onlinehandel dringt nicht mehr nur in die Wohnungen
seiner Kunden per PC oder Smartphone, sondern per Dash-Button sogar in deren
Regale, Schubläden und Schränke ein. Und der Kunde drückt dort einfach nur
(s)einen Knopf. Das ist schon genial. Zumindest für den produktfixierten
Konsumenten.“
Er ist völlig schiefgegangen. Der Freitagabend war zunächst
viel weniger gelungen als geplant. Doch wie kam es dazu?
Ich liebe Zauberei. Ich selbst kann nicht zaubern, aber ich
bin stets begeistert von Zauberkünstlern, die ihr Handwerk verstehen, aber ich
bin auch von Büchern und Filmen begeistert, in denen gezaubert wird… also bin
ich auch begeistert von „Die Unfassbaren“. Und am Freitagabend, in Vorbereitung
auf „Die Unfassbaren 2“ im Kino wollte ich meine weniger unfassbare Erinnerung
unbedingt nochmals mit den Unfassbaren Teil 1 per DVD auffrischen: Die DVD
liegt im Player, geröstete Pistazien sind in einer Schale vor mir und dazu nun
noch ein herrlich herbes Pils – aus dem Kühlschrank.
Und genau hier lag jetzt das Problem: Es war kein Pils im
Kühlschrank. Ich hatte keines hineingestellt; wahrscheinlich deswegen nicht,
weil ich noch nicht mal Pils zu Hause hatte – also weder im noch außerhalb des
Kühlschrankes. Das darf eigentlich nicht passieren.
Dash: Eine Logistik-Innovation erobert Deutschland – vielleicht
Die Erklärung ist einfach. Um es in Anlehnung an die
Weisheit der Cree-Indianer zu sagen: Erst wenn das letzte Pils getrunken und
kein neues nachbestellt ist, werdet ihr merken, dass geröstete Pistazien ohne
begleitendes kühles herbes Pils beim Genuss eines Zaubererblockbusters die
kulinarische Freude des einfachen Mannes nicht unerheblich einschränkt. Das
bringt es kurzum auf den Punkt. Was tun?
Vielleicht ist es als langfristige Vorbeugungsmaßnahme auch
etwas zu hoch gegriffen, das seit Kurzem für Deutschland gültige de
Maiziére`sche Zivilschutzkonzept auf Pilsvorräte umzuschreiben und umzusetzen.
Es braucht also eine innovative Lösung – und die liefert nun
Amazon per Knopfdruck. Amazon bietet sich an als eine Art virtueller
Getränkeautomat: Ich drücke einen Knopf und schon erreicht mich Pilsnachschub.
Das ist … nun ja, so neu auch wieder nicht.
Aber trotzdem irgendwie schon, denn der Knopf ist diesmal
wirklich nur ein singulärer Knopf.
Der Weg des Dash-Buttons
Vor ungefähr einem Jahr führte Amazon in den USA einen Knopf
ein; auf diesen kann der sich eines sich anbahnenden Mangels bewusst werdende
Konsument drücken, und zwar sofort, also in Echtzeit, sprich: in genau diesem
Moment, in dem ihm der sich offenbar werdende Mangel gewahr wird. Um es an
einem einfachen Beispiel festzumachen: Angenommen, Sie sitzen auf der Toilette
und stellen plötzlich fest … egal. Das Prinzip ist sicher verstanden.
Das Neue und auch Innovative daran ist, dass es nicht mehr
notwendig ist, sich als Konsument an den Rechner setzen, sein Smartphone zur
Hand nehmen oder gar sich aus dem Haus begeben zu müssen: Der Konsument
konsumiert auf Knopfdruck. Und nach diesem Knopfdruck klingelt der Postmann und
liefert das Knopfgedrückte.
Kann sich sowas tatsächlich durchsetzen? Wie wir ja wissen,
muss eine Idee ja erst einmal erfolgreich sein, um zu einer Innovation werden
zu können. Wider den Erwartungen vieler Skeptiker in den USA, wurde der Knopf,
der mit einem WLAN verbundene sogenannte Dash-Button, ein respektabler Erfolg.
Vielleicht nicht in dem Umfang, wie Amazon sich das gewünscht hatte; aber
sicher weitaus mehr, als Skeptiker das je vermutet hatten. Also können wir heute
bereits von einer Innovation sprechen. Die Frage ist natürlich, ob auch
Deutschland schon bereit ist für den Knopf. Es gibt also Diskussionsstoff.
Der Dash-Button und das Kleie-Problem
Ein diskutiertes Problem ist die Tatsache, dass ein
Dash-Button immer für genau ein Produkt steht. Das heißt: Mit einem Knopf kann
ich immer nur Kleie bestellen – und zwar nur eine ganz bestimmte, vom
Konsumenten definierte und von einem einzigen Hersteller. Ob das bei Kleie eine
Rolle spielt, sei einmal dahingestellt. Aber: Der Knopf ist genau genommen ein
virtuelles Kaufhaus mit genau einem einzigen Produkt. Und dieses eine Produkt
kann man dann bestellen (Knopf drücken) oder eben nicht (nicht Knopf drücken).
Mehr ist mit diesem einen innovativen Knopf nicht möglich.
Sollte also der anspruchsvolle Konsument auf eine
abwechslungsreiche Kleie-Kost stehen, so braucht er mehrere Kleie-Dash-Buttons,
um die gesamte Kleie-Vielfalt auskosten zu können. Diese Buttons kann er dann
beispielsweise nebeneinander in seiner Speisekammer ans Kleie-Regal kleben, um
sich so eine Art eigenes kumuliertes Kleie-Kommando-Cockpit zu gestalten.
Ebenso wäre das dann mit Kurkuma, Senfschmalz … und auch mit Pils. Die eigene
Behausung wird sich immer mehr Hikaru Sulus Steuerpult auf der Brücke der
Enterprise angleichen: Knöpfe all überall. Im Unterschied zu Sulus
Steuerkünsten, werden die Innovations-Dash-Buttons allerdings wohl etwas
seltener gedrückt werden: Niemand braucht täglich ein neues Glas Senfschmalz
oder eine Dose Himalaya-Salz. Und wer braucht überhaupt jemals Kleie?
Der Dash-Button und die Gedächtnistrainer
Ein weiterer Diskussionspunkt befasst sich zu Recht mit der
Umwelt: Wenn nun jedes Glas Senfschmalz
und jede Kleie-Einheit (in welcher Verpackung wird Kleie eigentlich geliefert?
In Flaschen?) einzeln den Weg von Amazon zum Konsumenten finden müssen, dann
ist es natürlich berechtigt zu fragen, ob das im Sinne der Umwelt akzeptabel
ist. Jedes Senfschmalzglas wird verpackt und an dem einen Tag per Zusteller dem
Dash-Konsumenten ausgeliefert. Und am nächsten Tag erhält der Dash-Konsument
einen Hunderter-Pack Wattestäbchen. Und am nächsten Tag …
Was wird aus der guten alten Einkaufsliste, was aus dem
Wocheneinkauf werden? Und was wird aus jenen, die sich tapfer gegen
Einkaufslisten wehren, weil sie sich alles merken können – und sich
anschließend ein zweites Mal auf den Weg machen müssen, weil es doch nicht
geklappt hat. Und was wird dann aus all den Gedächtnistrainern, die genau
diesen Menschen den Tipp geben, dass sie sich nur vorstellen müssten, mit ihrem
linken Bein in einem Eimer Kleie und mit dem rechten Bein in einem Eimer
Senfschmalz zu stehen, um so nicht zu vergessen, dass sie Kleie und Senfschmalz
kaufen wollen. Auch wenn sie nicht wissen, wofür…
Es ist nicht einfach mit Neuem, mit Innovationen; es gibt
immer haufenweise Gegenargumente. Aber natürlich gibt es auch Argumente dafür;
eine Innovation wäre sonst wohl kaum möglich.
Der Dash-Button-Innovations-Vorsprung der Online-Händler
Dass der Online-Handel dem stationären Handel das Leben
schwer macht, ist bekannt. Viele Argumente sprechen für den Online-Handel und
oft wissen stationäre Händler dem nichts entgegenzusetzen. Dass es durchaus
Möglichkeiten, zum Beispiel in Form von Service-Innovationen oder
Qualitäts-Offensiven gibt und gäbe, sei hier nur der Vollständigkeit halber
angesprochen. Mit dem Dash-Button setzt der Onlinehandel aber nun noch eins
oben drauf; denn nun muss der Konsument tatsächlich nur noch an Ort und Stelle
bei sich zuhause in der Speisekammer, im Bad, auf der Toilette und sonstwo
einen einzigen Knopf drücken – und er muss sich um rein gar nichts mehr weiter
kümmern; bis am nächsten Tag der Postmann klingelt: Tür aufmachen.
Entgegennehmen. Tür zumachen. Fertig.
Das ist im Sinne der Ausreizung der
Kommunikationsmöglichkeiten mit dem Kunden fast nicht mehr zu toppen. Denn
damit dringt der Onlinehandel nicht mehr nur in die Wohnungen seiner Kunden per
PC oder Smartphone, sondern sogar in deren Regale, Schubläden und Schränke ein.
Und der Kunde drückt dort einfach nur (s)einen Knopf. Das ist schon genial.
Zumindest für den produktfixierten Konsumenten.
Es ist aber noch genialer für den Online-Händler: Denn mit
dem Dash-Button direkt vor Ort des Konsumenten ist er mit seinem Angebot
uneinholbar an erster Stelle: Der Konsument kauft ohne großartig nachzudenken
per Knopfdruck – vorbei an produkt- und preisbezogenen Alternativen – bei dem
Online-Händler seines Vertrauens. Der Dash-Button ist für den Händler der
knopfgewordene Traum einer Kundenbindung und –loyalität par excellence. Besser
geht es kaum noch!
Der Dash-Button-Innovations-Vorsprung – Öffnungszeit
Der stationäre Handel spielt in der in Deutschland ja noch
keineswegs etablierten Dash-Button-Welt keine Rolle. Außer bei Amazon – und
auch dort erst in den Anfängen bei etwas mehr als gerade mal 30 Produkten –
spielen die Dash-Buttons auch im Online-Handel noch keine Rolle.
Aber: Warum sollten gerade die Dash-Buttons nicht den
stationären Handel zurück auf die große Bühne des regionalen Handels bringen?
Was hindert stationäre Händler daran, sich eigenen Dash-Buttons zu öffnen – und
die Lieferzeit der großen Online-Händler durch die Regionalität zu unterbieten?
Wer seinen Knopf bis 15.00 Uhr drückt, wird noch am selben Tag beliefert! Wenn
es sein muss, auch mit Kleie. So kann aus einer Innovation für den einen
Bereich, nämlich aus dem Online-Handel, schnell eine Innovation für einen
anderen Bereich, nämlich den des stationären Handels, werden. Dass es hierzu
einiges an Aufwand bedarf und dass hier vor allem auch entsprechende
Handels-Verbände eine Rolle spielen sollten und müssen, um entsprechende
Synergien zu schaffen: Das versteht sich von selbst. Auch steht noch lange
nicht fest, ob die deutschen Konsumenten bereits bereit sind für beknopfte
Wohnungen. Aber es wäre die Zeit, sich dafür zu öffnen.
Fakt ist: Ideen sind für alle da! Und Fakt ist auch: Man
sollte nicht allzu viel Zeit verstreichen lassen, denn Amazon als
energiegeladener und meist erfolgreicher Innovationstreiber ist schon da! Und
Amazon ist auch noch lange nicht am Ende mit seinen Dash-Buttons. Amazon wird
im Laufe der Zeit voraussagen können, welcher Konsument welches Produkt zu
welcher Zeit brauchen wird (siehe hierzu auch den „Griff in die Zukunft“) – und
wird dann schon da sein: Dort, wo eigentlich der stationäre Handel seinen
Vorteil hat. Noch hat…
Wie habe ich nun vergangenen Freitag mein Pils-Problem
gelöst?
Nun, dazu muss man wissen, dass ich viele Jahre Offizier der
Bundeswehr war; und als solcher lernt man vor allem eines: Immer Reserven
bilden. Auch ohne Dash-Buttons und Postboten. Ich hatte natürlich noch genügend
Weizenbier im Kühlschrank.
Dieser Artikel wurde zum ersten Mal hier veröffentlicht am 04.09.2016.
Siehe zum Thema „Amazon“ auch den Blog-Artikel „Macht macht“.
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