Die
Dörfer des Potemkin
Vor langer Zeit, genau gesagt im Jahre
1786, fand eine der im Nachhinein berühmtesten Inspektionsreisen überhaupt statt.
Die Inspizierende war die Zarin Katharina die Große. Sie wollte sich damals vor
Ort überzeugen, ob denn die vielgerühmten blühenden Landschaften – auch wenn
sie damals sicher noch anders hießen - in Südrussland wirklich existierten. Und
als sie mit dem Gouverneur Grigori Alexandrowitsch Potemkin, der für das Blühen
der Landschaft verantwortlich war, und einigen anderen wichtigen
Persönlichkeiten durch die Provinz reiste, da konnten alle diese
beeindruckenden Dörfer mit ihren noch beeindruckenderen Häuserfassaden live und
in Farbe sehen.
Das Problem dabei: Es handelte sich um
keine echten Häuser, sondern nur um Attrappen, um Kulissen, die den Anschein
des Blühens, des Prosperierens erwecken sollten. Da
während der Inspektion niemand hinter diese Kulissen schaute oder auch nicht
schauen wollte und damit niemand die Dörfer des Potemkin auf Echtheit überprüft
hat, waren alle Teilnehmenden, und insbesondere eben auch die Zarin sehr
beeindruckt. Dass die Echtheit dieser Dörfer niemand überprüft hat, sollte sich
später bitter rächen. Doch dazu später. Andererseits: Wer überprüft denn schon
Dörfer auf Echtheit?
Zunächst kann aber festgehalten werden:
Die Finte ist gut, sie hat geklappt. Die Idee Dörfer zu simulieren ist wirklich
groß gedacht und sie kann so durchaus auch als Innovation bezeichnet werden.
Nichtexistierende Dörfer glänzen zu lassen: Die Potemkin`schen Dörfer waren
erfunden. Sie fanden Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch. Und was noch
viel interessanter ist: Die innovative Idee des Potemkin wurde noch oft
kopiert.
Der
Finger des Potemkin
So zu tun, als wäre etwas, was nicht
ist, ist sicher nicht allein auf Potemkin zurückzuführen. Beispiele dafür gibt
es genug. In den 80ern war es sehr modern, an die Autos männlicher Besitzer
Spoilerwerk anzubringen, um damit den Zarinnen dieser Welt zu zeigen, dass man
keinen 45PS-Golf-Diesel fährt, sondern nahe an einem Formel1-Auto dran ist. Das
Auto des Potemkin.
Gerne verbringen angeblich auch heute
noch Menschen ihren Urlaub in ihren Wohnungen hinter verschlossenen Türen und
abgedunkelten Fenstern. Dies, um nach dem Türöffnen erzählen zu können, dass
man die letzten zwei Wochen eine Rundreise durch Neuseeland gemacht hätte und
dort alles ganz wunderbar gewesen sei. Der Urlaub des Potemkin.
Der ausgestreckte Finger in der
Manteltasche, um damit eine Pistole zu simulieren hat nicht nur Eingang in die
Praxis gefunden, sondern auch in das allgemeine Liedgut: „Nur mit´m Finger im
Mantel, statt einer Puffn, weil ich kann kein Blut sehen, darum muss ich bluffn“
singt die Erste Allgemeine Verunsicherung in ihrem Lied über einen misslungenen
Banküberfall. Doch mit der Pistole sind wir schon nah an einem High Performance
Beispiel des Potemkin: Nicht nur Pistolen simulieren, sondern ganze Armeen! Das
ist ganz groß gedacht.
Dass in Kriegen das geschickte Täuschen
des Feindes eine effektive Art und Weise ist sich eigene Vorteile zu
verschaffen ist bekannt. Es galt und gilt aber eigentlich als eine wichtige
„Nebenfertigkeit“. Bis dann im zweiten Weltkrieg tatsächlich eine ganze
Division aufgebaut wurde, die es eigentlich so nicht gab. Eine Armee, die dem
guten alten Potemkin definitiv das Wasser reichen konnte; eine Ghost-Army. Im
Januar 1944 wurde die „23rd Headquarter Special Troops“ mit vier Truppenteilen in
Dienst gestellt: Eine „Sonic Service Company“ mit Schallplatten und
Lautsprecheranlagen, ein „Engineer Bataillon“ mit Gummipanzern und
Gummiflugzeugen, eine „Engineer Combat Company“, die die Attrappen auf- und
abbauen konnte und eine „Signal Company Special“ mit entsprechend ausgebildeten
Funkern.
Die Ghost Army war darauf ausgelegt,
zwei Divisionen vorzutäuschen. Und man kann sich gut vorstellen, wie ein Feind
reagiert, der es plötzlich mit zwei zusätzlichen Divisionen zu tun hat und wie
ein Feind reagieren würde, der es eben mit keinen zwei zusätzlichen Divisionen
(ca. 30.000 Soldaten) zu tun hat. Die Idee war also eine gute. Sie wurde
hochprofessionell umgesetzt. Und die Ghost Army wurde dementsprechend mit sich
bewegenden Gummipanzern, Getöse von der Schallplatte, Blitzlichtgewitter, mit
wild funkenden Funkern und panzerspurengrabenden Baggern und Raupen eingesetzt.
Mit Erfolg. Angeblich hatte die Potemkinsche Armee um die 20 erfolgreiche
Einsätze. Die Ghost Army war sogar so erfolgreich, dass nicht nur der Feind,
also die Deutschen, sondern auch die eigene Truppe immer wieder auf sie
hereinfiel. Die Ghost-Armee hatte kaum eigene Verluste und hatte dennoch eine
enorme Wirkung auf den Feind.
Das ist eine richtig gut
weiterentwickelte Idee; da der Erfolg für sie spricht, kann man auch hier von
einer Innovation sprechen. Wenn auch eigenartig, aber so dennoch mit Recht. Der
Name „Ghost-Army“ stammt übrigens von einem Filmemacher; weit nach der Existenz
der Attrappen-Armee.
Die
Illusionsillusion des Potemkin
Die Potemkin´sche List war eine gute.
Alle fielen darauf herein. Vor allem die Zarin Katharina die Große. Und dabei
war es auch gar nicht schwierig darauf hereinzufallen. Denn die Tatsache, dass
niemand die Echtheit der inspizierten Dörfer überprüft hatte, stellte sich als
großer Fehler heraus. Und zwar für Potemkin selbst! Nämlich weil die Dörfer doch
echt waren. Im Gegensatz zur Ghost-Army, waren die Dörfer des Potemkin eben keine
Kulissen. Nur im Nachhinein wurde das Gerücht gestreut, dass in dem neuen
Russland gar nichts blühen würde und schon gleich gar keine Dörfer. Die
gezeigten Dörfer wären allesamt nur Kulissen gewesen.
Das Gerücht verbreitete sich schnell und
hartnäckig. Man vermutet, dass es vor allem die sehr enge Beziehung Potemkins
zur Zarin war, die diesen Neid hervorrief.
Es ist also nicht verwunderlich, dass
die Dörfer so echt wirkten; sie waren echt. Es handelt sich also um eine
Illusionsillusion, die sich konsequent bis heute hält. Das hat sicher auch die
Rennfahrer der 80er maßgeblich beeinflusst; die Spoiler sorgten dafür, dass die
Autos echte Rennwagen waren. Vor allem dann, wenn man den linken Ellbogen aus
dem Fenster hängen ließ, während der Fuchsschwanz des selbsterlegten Fuchses
vom Rückspiegel baumelte. Potemkin pur.
Hier haben Sie die Möglichkeit, mit Dr.
Markus Reimer Kontakt aufzunehmen.
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