Dienstag, 19. März 2019

Die Erben des Potemkin - Illusionsillusionen

Da während der Inspektion niemand hinter diese Kulissen schaute oder auch nicht schauen wollte und damit niemand die Dörfer des Potemkin auf Echtheit überprüft hat, waren alle Teilnehmenden, und insbesondere eben auch die Zarin sehr beeindruckt. Dass die Echtheit dieser Dörfer niemand überprüft hat, sollte sich später bitter rächen. 


Die Dörfer des Potemkin

Vor langer Zeit, genau gesagt im Jahre 1786, fand eine der im Nachhinein berühmtesten Inspektionsreisen überhaupt statt. Die Inspizierende war die Zarin Katharina die Große. Sie wollte sich damals vor Ort überzeugen, ob denn die vielgerühmten blühenden Landschaften – auch wenn sie damals sicher noch anders hießen - in Südrussland wirklich existierten. Und als sie mit dem Gouverneur Grigori Alexandrowitsch Potemkin, der für das Blühen der Landschaft verantwortlich war, und einigen anderen wichtigen Persönlichkeiten durch die Provinz reiste, da konnten alle diese beeindruckenden Dörfer mit ihren noch beeindruckenderen Häuserfassaden live und in Farbe sehen.
Das Problem dabei: Es handelte sich um keine echten Häuser, sondern nur um Attrappen, um Kulissen, die den Anschein des Blühens, des Prosperierens erwecken sollten. Da während der Inspektion niemand hinter diese Kulissen schaute oder auch nicht schauen wollte und damit niemand die Dörfer des Potemkin auf Echtheit überprüft hat, waren alle Teilnehmenden, und insbesondere eben auch die Zarin sehr beeindruckt. Dass die Echtheit dieser Dörfer niemand überprüft hat, sollte sich später bitter rächen. Doch dazu später. Andererseits: Wer überprüft denn schon Dörfer auf Echtheit?
Zunächst kann aber festgehalten werden: Die Finte ist gut, sie hat geklappt. Die Idee Dörfer zu simulieren ist wirklich groß gedacht und sie kann so durchaus auch als Innovation bezeichnet werden. Nichtexistierende Dörfer glänzen zu lassen: Die Potemkin`schen Dörfer waren erfunden. Sie fanden Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch. Und was noch viel interessanter ist: Die innovative Idee des Potemkin wurde noch oft kopiert.


Der Finger des Potemkin

So zu tun, als wäre etwas, was nicht ist, ist sicher nicht allein auf Potemkin zurückzuführen. Beispiele dafür gibt es genug. In den 80ern war es sehr modern, an die Autos männlicher Besitzer Spoilerwerk anzubringen, um damit den Zarinnen dieser Welt zu zeigen, dass man keinen 45PS-Golf-Diesel fährt, sondern nahe an einem Formel1-Auto dran ist. Das Auto des Potemkin.
Gerne verbringen angeblich auch heute noch Menschen ihren Urlaub in ihren Wohnungen hinter verschlossenen Türen und abgedunkelten Fenstern. Dies, um nach dem Türöffnen erzählen zu können, dass man die letzten zwei Wochen eine Rundreise durch Neuseeland gemacht hätte und dort alles ganz wunderbar gewesen sei. Der Urlaub des Potemkin.
Der ausgestreckte Finger in der Manteltasche, um damit eine Pistole zu simulieren hat nicht nur Eingang in die Praxis gefunden, sondern auch in das allgemeine Liedgut: „Nur mit´m Finger im Mantel, statt einer Puffn, weil ich kann kein Blut sehen, darum muss ich bluffn“ singt die Erste Allgemeine Verunsicherung in ihrem Lied über einen misslungenen Banküberfall. Doch mit der Pistole sind wir schon nah an einem High Performance Beispiel des Potemkin: Nicht nur Pistolen simulieren, sondern ganze Armeen! Das ist ganz groß gedacht.  




Dass in Kriegen das geschickte Täuschen des Feindes eine effektive Art und Weise ist sich eigene Vorteile zu verschaffen ist bekannt. Es galt und gilt aber eigentlich als eine wichtige „Nebenfertigkeit“. Bis dann im zweiten Weltkrieg tatsächlich eine ganze Division aufgebaut wurde, die es eigentlich so nicht gab. Eine Armee, die dem guten alten Potemkin definitiv das Wasser reichen konnte; eine Ghost-Army. Im Januar 1944 wurde die „23rd Headquarter Special Troops“ mit vier Truppenteilen in Dienst gestellt: Eine „Sonic Service Company“ mit Schallplatten und Lautsprecheranlagen, ein „Engineer Bataillon“ mit Gummipanzern und Gummiflugzeugen, eine „Engineer Combat Company“, die die Attrappen auf- und abbauen konnte und eine „Signal Company Special“ mit entsprechend ausgebildeten Funkern.
Die Ghost Army war darauf ausgelegt, zwei Divisionen vorzutäuschen. Und man kann sich gut vorstellen, wie ein Feind reagiert, der es plötzlich mit zwei zusätzlichen Divisionen zu tun hat und wie ein Feind reagieren würde, der es eben mit keinen zwei zusätzlichen Divisionen (ca. 30.000 Soldaten) zu tun hat. Die Idee war also eine gute. Sie wurde hochprofessionell umgesetzt. Und die Ghost Army wurde dementsprechend mit sich bewegenden Gummipanzern, Getöse von der Schallplatte, Blitzlichtgewitter, mit wild funkenden Funkern und panzerspurengrabenden Baggern und Raupen eingesetzt. Mit Erfolg. Angeblich hatte die Potemkinsche Armee um die 20 erfolgreiche Einsätze. Die Ghost Army war sogar so erfolgreich, dass nicht nur der Feind, also die Deutschen, sondern auch die eigene Truppe immer wieder auf sie hereinfiel. Die Ghost-Armee hatte kaum eigene Verluste und hatte dennoch eine enorme Wirkung auf den Feind.
Das ist eine richtig gut weiterentwickelte Idee; da der Erfolg für sie spricht, kann man auch hier von einer Innovation sprechen. Wenn auch eigenartig, aber so dennoch mit Recht. Der Name „Ghost-Army“ stammt übrigens von einem Filmemacher; weit nach der Existenz der Attrappen-Armee.


Die Illusionsillusion des Potemkin

Die Potemkin´sche List war eine gute. Alle fielen darauf herein. Vor allem die Zarin Katharina die Große. Und dabei war es auch gar nicht schwierig darauf hereinzufallen. Denn die Tatsache, dass niemand die Echtheit der inspizierten Dörfer überprüft hatte, stellte sich als großer Fehler heraus. Und zwar für Potemkin selbst! Nämlich weil die Dörfer doch echt waren. Im Gegensatz zur Ghost-Army, waren die Dörfer des Potemkin eben keine Kulissen. Nur im Nachhinein wurde das Gerücht gestreut, dass in dem neuen Russland gar nichts blühen würde und schon gleich gar keine Dörfer. Die gezeigten Dörfer wären allesamt nur Kulissen gewesen.
Das Gerücht verbreitete sich schnell und hartnäckig. Man vermutet, dass es vor allem die sehr enge Beziehung Potemkins zur Zarin war, die diesen Neid hervorrief.
Es ist also nicht verwunderlich, dass die Dörfer so echt wirkten; sie waren echt. Es handelt sich also um eine Illusionsillusion, die sich konsequent bis heute hält. Das hat sicher auch die Rennfahrer der 80er maßgeblich beeinflusst; die Spoiler sorgten dafür, dass die Autos echte Rennwagen waren. Vor allem dann, wenn man den linken Ellbogen aus dem Fenster hängen ließ, während der Fuchsschwanz des selbsterlegten Fuchses vom Rückspiegel baumelte. Potemkin pur.  


Einen Artikel der FAZ zur Ghost-Army finden Sie hier.   

Einen Artikel der Welt zu Potemkin finden Sie hier.

Hier haben Sie die Möglichkeit, mit Dr. Markus Reimer Kontakt aufzunehmen.

Hier finden Sie Vortragsausschnitte von Dr. Markus Reimer.

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